Alle wollen Sieger sein
Leider kennen die Deutschen die Konkordanzdemokratie nicht. Sie setzt darauf, möglichst die gesamte Gesellschaft und deren Institutionen am politischen Prozess zu beteiligen. Die Regierung der Schweiz, der Schweizer Bundesrat, verfügt über sieben Mitglieder, die gleichberechtigt an einem runden Tisch tagen. Gewählt wird diese Regierung von der Bundesversammlung, dem Schweizer Parlament. Und in der Regierung sind alle maßgeblichen Parteien vertreten und damit auch mitverantwortlich. Es gibt nicht Regierung und Opposition. Der Konsens gilt als oberstes Prinzip.
In einer Konkordanzdemokratie würden wir Koalitionsverhandlungen wie sie derzeit stattfinden nicht erleben. Alle Parteien im Bundestag säßen an einem Tisch und würden sich in den kommenden vier Jahren um das Schicksal unseres Landes bemühen. Wir Deutsche kennen aber eben nur die Konkurrenzdemokratie. Wir brauchen Gewinner und Verlierer, Mächtige und Ohnmächtige.
Selbstverständlich wollen alle zu den Siegern gehören. Und Sieger sitzen in der Regierung. Ministerämter zeichnen die Sieger aus. Deshalb verhandeln SPD und Unionsparteien derzeit um eine große Koalition und sind sich nach neueren Meldungen offenbar auch schon weitgehend über die Verteilung der Ministerämter einig. Dabei bleibt das ein oder andere Thema auf der Strecke.
Umweltverbände mahnen deutliche Verbesserungen an
Kein Wunder also, dass die großen deutschen Umweltverbände die laufenden Koalitionsverhandlungen trotz einiger positiver Zwischenergebnisse mit zunehmender Sorge sehen. Die Verhandlungsgruppen zu Energie sowie Umwelt und Landwirtschaft weichen nach Ansicht der Verbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutscher Naturschutzring (DNR), Greenpeace und Naturschutzbund Deutschland (NABU) den notwendigen Entscheidungen in der Energiepolitik, im Klima- und Naturschutz sowie in der Agrarpolitik aus. Eine völlige Leerstelle bei den Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz gibt es laut einer gemeinsame Pressemitteilung der Verbände beim Abbau umweltschädlicher Subventionen, deren Volumen sich in Deutschland auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr beläuft. Im Laufe der nächsten vier Jahre könne ein Drittel dieser Beihilfen, rund 16 Milliarden Euro, abgebaut werden. Die Umweltverbände fordern die künftige Regierung auf, die Kosten der Energiewende gerechter zu verteilen und unter anderem ungerechtfertigte Industrie-Ausnahmen bei den Energie- und Stromsteuern sowie im Emissionshandel abzuschaffen. Das Dienstwagenprivileg müsse sich künftig am CO2-Ausstoß ausrichten und für Fahrzeuge mit hohem Verbrauch ganz gestrichen werden. Die Dieselsteuer müsse schrittweise an den Steuersatz von Normalbenzin angeglichen und die Mehrwertsteuerbefreiung für Auslandsflüge aufgehoben werden. Zudem müsse die bergrechtliche Förderabgabe endlich auch für den Braunkohlebergbau erhoben werden. Die durch den Subventionsabbau freigesetzten Finanzmittel leisteten einen wichtigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und verhinderten, dass durch Umweltschäden zusätzliche Kosten entstehen.
Der Energiewende drohen falsche Weichenstellungen
Bei dem zentralen Projekt der Energiewende drohen nach dem derzeitigen Stand der Koalitionsverhandlungen bedenklich falsche Weichenstellungen. Das Gelingen der Energiewende ist jedoch sowohl für die deutschen Klimaschutzanstrengungen als auch für die globale Klimaschutzpolitik von zentraler Bedeutung. Die Umweltverbände appellieren an die Verhandler, bei der Neuordnung des Strommarktes keine übereilten Festlegungen zu treffen. Neue Subventionen für Kohlekraftwerke wären ökonomisch und klimapolitisch eine Geisterfahrt. Das anvisierte Ziel von 40 Prozent Erneuerbare Energien im Jahr 2020 ist aus Sicht der Umweltverbände zu schwach und würde große wirtschaftliche Potenziale und die Erreichung der deutschen Klimaziele ohne Not gefährden. Die Umweltverbände fordern einen Anteil von mindestens 45 Prozent. Eine Deckelung des Erneuerbaren-Energien-Ausbaus durch sogenannte „Ausbaukorridore“ darf es nicht geben. Bei Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz ist entscheidend, dass die Vielfalt der Akteure erhalten bleibt und Anreize gestärkt werden, damit Bürgerinnen und Bürger sich auch künftig an Anlagen zur Wind- und Solarstromerzeugung beteiligen.
In Sachen Klimapolitik gewohnt ungenügend
Auch die bisher von den Arbeitsgruppen formulierten klimapolitischen Aussagen sind ungenügend. So haben sich die Koalitionäre noch immer nicht darauf verständigt, die bisher nur freiwillig formulierten nationalen Klimaziele – 40 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2020 und 80 bis 95 Prozent bis 2050 – in einem Klimaschutzgesetz bindend festzuschreiben. Für 2030 schlägt Deutschland als EU-Emissionsminderungsziel sogar nur 40 Prozent vor statt der 55 bis 60 Prozent Minderung, die mindestens Europas Beitrag wären, um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Auch eine grundlegende Reform des daniederliegenden europäischen Emissionshandels wird bisher nicht eingefordert.
Agrarpolitik blockiert
Und in der AG Umwelt und Landwirtschaft wiederum blockieren offensichtlich die Hardliner der Agrar- und Waldbesitzerlobby klare Beschlüsse für eine umweltgerechtere Land- und Waldwirtschaft, die sich an den Wünschen der Mehrheit der Verbraucher orientiert. Anders als von der EU ermöglicht, ist nicht vorgesehen, 15 Prozent der flächenbezogenen Agrarsubventionen in Agrarumweltprogramme umzuschichten und damit eine EU-geförderte Finanzierung für Verbesserungen im Düngerecht, Wasser-, Arten- und Tierschutz sicher zu stellen. Auch Bestrebungen, die Fischerei und den Rohstoffabbau in den Schutzgebieten von Nord- und Ostsee zu zügeln, scheinen vergessen. Offenbar werden auch finanzielle Zusagen der Bundesregierung für den internationalen Wald- und Artenschutz in Frage gestellt. Einige Verhandler bestehen zudem darauf, in Deutschland den Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen weiter voranzutreiben. Hier müssten die Chefverhandler der Parteien im Sinne von Umwelt und Verbrauchern korrigierend eingreifen, forderten die Umweltverbände.
Wieder einmal scheint der kleinste gemeinsame Nenner das Ziel der Koalitionsverhandlungen zu sein. Grundlegende Reformen im Umweltschutz, der Gesundheits- und der Energiepolitik, der Familien- und Wirtschaftspolitik und vielen anderen Bereichen, die unser Land so dringend bräuchte sind damit nicht zu erreichen. Die Koalition soll dennoch geschlossen werden. Schließlich wollen doch alle ihre Ministerämter. Wie lange das noch so funktionieren soll, weiß keiner. Es ist nur schade, dass die Deutschen die Konkordanzdemokratie nicht kennen.
Quelle: Pressemitteilung BUND